Sonntag, 28. Oktober 2007

Desaguadero, Strassenblockaden und neues Visum

Heute fuhren wir (der Pfarrer und ich) nach Desaguadero, um mein Visum zu erneuern. Die lieben Angestellten in „Migracion“ wollten mir mein Visum nur gegen eine Gebühr von 550.- Bolivianos (und nur für 30 Tage) verlängern. 550.- Bolivianos sind ca. 80.- CHF, entsprechen aber ungefähr 600.- oder 700.- CHF, und so viel wollte ich nicht bezahlen. Da wäre es deutlich billiger, einen Monat lang die täglichen Bussen für den illegalen Aufenthalt zu bezahlen. Abgesehen davon habe ich noch von niemandem gehört, der eine solch horrende Gebühr hätte bezahlen müssen. Die gut 5h, welche ich in „Migracion“ verbracht habe, waren absolut umsonst gewesen.
Desaguadero ist ein kleines Kaff an der Grenze zu Peru, am unteren Ende des Titicacasees. Eigentlich hat es dort nicht viel mehr als eine Brücke, auf beiden Seiten ein Zollamt und jede Menge Leute, welche ihre Ware verkaufen. Dort kann man gegen eine „Gebühr“ aus- und wieder einreisen. Eigentlich müsste man korrekterweise mind. 24h in Peru bleiben, damit man wieder ein Visum kriegt.
Die erste Hürde war jedoch nicht das Zollamt, sondern die Strassenblockaden. Zwei verschiedene „Transportunternehmen“ streiten sich darum, welche Minibusse bis Desaguadero fahren dürfen und welche nur bis ein Dorf vor der Grenze. Deshalb haben sie kurzentschlossen die Strasse blockiert. Mit kleineren und grösseren Steinen, Baumstämmen und zum Teil mit Sprengkörpern machen sie die Strasse unpassierbar. Die ersten 5 oder 6 Blockaden liessen sie uns durchfahren, da wir in einem Privatauto unterwegs waren, aber bei der letzten war es völlig unmöglich, durchzukommen. Mehrere hundert Lastwagen waren auf beiden Seiten steckengeblieben, und die Campesinos warfen Felsbrocken auf die Strasse. Wir hatten keine andere Wahl als zu Fuss weiter zu gehen. Zum Glück fehlte nur noch ca. 1h bis nach Desaguadero, und auf halbem Weg nahm uns ein „Taxi“ mit, ein Junge mit einem Fahrrad, bei dem vorne zwei Sitze montiert sind. Das war eine ziemlich holprige Angelegenheit, und einige Male kippten wir fast die Böschung hinunter.
An der Grenze musste ich zuerst auf der bolivianischen Seite einen Ausreisestempel holen, dann in Peru einreisen und gleich wieder ausreisen (das wollten sie zuerst nicht zulassen, weils ja eigentlich verboten ist), und dann in Bolivien wieder einreisen (was eigentlich auch verboten ist). Auf der peruanischen Seite waren sie sehr kooperativ und gaben mir die Stempel nach einigem Verhandeln ohne weiteres. In Bolivien wollten sie mich zuerst gar nicht einreisen lassen können, aber schlussendlich liessen sie sich überzeugen und gaben mir sogar 90 Tage anstatt der eigentlich zulässigen 30. Gegen ein kleines Trinkgeld, versteht sich... Aber mir solls recht sein, immerhin waren sie weniger stur als die Angestellten in La Paz, und die paar Dollars für drei Monate stehen in keinem Verhältnis zu den 550.- Pesos, welche sie mir hier abknöpfen wollten.
Auf der Rückreise war ich deutlich besserer Laune. Allerdings hatten wir zuerst einige Probleme, das Auto zwischen all den blockierten Lastwagen wieder heraus zu bekommen und die unterdessen grösser gewordenen Blockaden zu passieren. Einige Male fuhren wir neben der Strasse im Feld, und einmal durchquerten wir sogar einen Bach, unter „fachkundiger“ Anleitung eines Blockierenden. „Also, das war doch kein Problem, ich weiss nicht was ihr habt“, meinte dieser, als wir wieder auf der Strasse waren...

Unter dem Laster schläft noch einer... :)

Taller de Liderazgo en Achacachi


Diesen Freitag und Samstag fuhren wir mit dem ITEI nach Achacachi, ein Dorf ca. 2h nördlich von La Paz, um dort einen Workshop mit Schülern durchzuführen. Am Freitagmorgen früh fuhren wir mir der Ambulanz von ITEI los. Es war ziemlich holprig hinten drin, erst recht weil es hinten keine Sitze hat, sondern bloss eine schmale Bank für den Notarzt... Marcelo gab sich zwar Mühe, vorsichtig zu fahren, aber die Bodenwellen und Schlaglöcher sah er meist erst im letzten Moment, oder kurz danach. Um 9 kamen wir in Achacachi an, und die Zeit bis 2 Uhr verbrachten wir erst mal mit warten (bolivianische Organisation...).

Marcelo, Ambulanzchauffeur und Arzt von ITEI

Angie und ich am warten


Der Workshop war ziemlich interessant. Vor allem war es spannend zu sehen, wie unterschiedlich die Vorstellungen der Kinder sind, und wie viele von ihnen überhaupt kein Konzept haben davon, was ein Leader resp. eine Führungskraft für Eigenschaften haben soll. Angie, die amerikanische Praktikantin von ITEI, und ich waren eine ziemliche Attraktion bei den Schülern. Wie es sei, zu reisen, fragten sie, ob ich im Flugzeug gekommen sei, und ob das spannend sei oder langweilig. Für die Kinder in der Region von Achacachi ist La Paz das Entfernteste und Grösste, wovon sie sich überhaupt eine Vorstellung machen können.
Die Workshops, die ITEI dort oganisiert, sind für die Schüler eine sehr willkommene Abwechslung, da es sonst keine Aktivitäten gibt in Achacachi. Keine Musikschule, keine Sportclubs, keine Discos... Einige der Schüler müssen 5h zu Fuss gehen, bis sie im Dorf sind, aber sie waren trotzdem fast alle am Samstag morgen um 8h in der Schule, um Thai-Chi zu machen und anschliessend den Kurs zu besuchen.


Im Klassenzimmer (Pulte gibt es keine...)



Anstehen fürs Zmittag...


Frühstücks-Salon im Dorf

Mittwoch, 17. Oktober 2007

Juicio a Goni ya !!!

Vor 4 Jahren floh der damalige bolivianische Präsident Gonzalo Sanchez de Lozada in die Vereinigten Staaten, nachdem er Proteste der Bevölkerung im sogenannten "Erdgas-Krieg" blutig niedergeschlagen hatte. Dabei waren mindestens 70 Leute umgekommen und hunderte verletzt worden. Viele von ihnen verloren Beine, Arme, Augen, Finger, Hände...
"Goni" lebt bis heute in den USA, welche seiner Auslieferung bis heute nicht zugestimmt haben.
Deshalb finden heute in La Paz verschiedene Protestmärsche und Gedenkfeiern statt, in welchen vor Allem die Auslieferung von Goni nach Bolivien gefordert wird, damit ihm endlich der Prozess gemacht werden kann.
Mehr dazu:
http://www.juiciogoniya.org.bo/ (Spanisch und Englisch)
http://www.trial-ch.org/de/trial-watch/profile/db/facts/gonzalo_s%C3%A1nchez-de-lozada_381.html (Deutsch)
Indymedia vor 4 Jahren:
http://de.indymedia.org/2003/10/63722.shtml

Sonntag, 14. Oktober 2007

Yungas und Coroico







Gestern war ich in Coroico. Das ist ein kleines Städtchen inmitten der Yungas (den fruchtbaren Tälern zwischen dem Altiplano und dem Tiefland). Die Fahrt dorthin führte früher über die berühmte „Todesstrasse“ (die gefährlichste Strasse der Welt). Jetzt hat es eine „schöne neue Strasse“, die ist grösstenteils geteert, und vor Allem weniger steil als die alte. Zum Teil hat es aber Felsbrocken auf der Strasse und recht häufig Schlaglöcher von früheren Felsstürzen. In Coroico ist es ca. 15-20°C wärmer als in La Paz, und die Luftfeuchtigkeit beträgt mindestens 75%. Knappe 3h von La Paz entfernt, herrscht ein völlig anderes Klima!
Als erstes, als ich aus dem Auto stieg, sah ich eine Freundin aus Basel, welche ich auf dem Flug von Miami nach La Paz kennen gelernt habe, und welche dort mir ihrem Freund auf der Strasse selbst gemachten Schmuck verkauft und von Ort zu Ort zieht. In Bolivien ist die Welt auch klein :)
Wir haben das Dorf angeschaut und einen Spaziergang durch die Wälder gemacht und uns ein wenig verstechen lassen von den vielen „bichos“... Es war richtig erholsam, mal wieder normal atmen zu können und nicht nach jedem zweiten Schritt erschöpft Pause zu machen. Auf der Heimfahrt hatte es so dichten Nebel dass wir kaum einen Meter weit sahen. Die Camions fahren mit ca. 5 kmh (das ist jetzt keine Untertreibung!) und ohne oder mit ganz schwachem Licht, so dass wir sie häufig erst sahen, wenn es schon fast zu spät war.
Als wir nach La Paz rein fuhren (eindrücklich, die vielen Lichter, wie sie so am Berg „kleben“) trafen wir auf einen Umzug mit vielen tanzenden Menschen in farbigen Trachten, mit Federschmuck und so. Keine Ahnung was der Anlass war dafür, aber es sah schön aus...

Freitag, 12. Oktober 2007

Día de la mujer

Gestern war in Bolivien día de la mujer (Tag der Frau), und alle Frauen haben Rosen geschenkt gekriegt :)

Die letzten zwei Tage war ich in einem Seminar zur bolivianischen (bisher leider inexistenten) Migrationspolitik, Menschenhandel, Menschenschmuggel etc. Sehr interessante Themen, interessante Leute und neue Einsichten in die bolivianischen Gebräuchlichkeiten. Pünktlichkeit ist hier mehr als ein Fremdwort, und in Sachen Vortragen, Präsentieren, Diskutieren und Verhandeln sollte man mal einen Sozialkompetenzkurs vorbeischicken...

Mittwoch, 10. Oktober 2007

La Boda de la Ceci




1.Ceci y Ramiro
2.Ceci y Gary, los padres, padrinos y las niñas

Erste Eindrücke (Ausschnitt Mail)

Am Samstag Morgen so ca. um 6.00 (Ortszeit) landete ich nach 28h Reise auf dem Flughafen El Alto – La Paz (auf 4’100 müM). Dort warteten meine zwei Gastbrüder (Ramiro und Christian) und mein Gastprimo Gerardo auf mich, um mich und mein bescheidenes Gepäck nach Hause zu fahren. Ungefähr 500 Höhenmeter tiefer trafen wir auf „el Evo“ (Morales), der gerade zur Arbeit fuhr. Eskortiert, versteht sich. Und hinter verdunkelten Autoscheiben... Trotzdem ein netter Empfang in Bolivien.. ;) Beim Frühstück lernte ich gleich die ganze Familie kennen. Alle zwei Minuten kamen neue Primos, Primas, Tios und Tias aus allen Ecken; für die Hochzeit war die ganze Verwandtschaft aus Cochabamba angereist. Die Trauung fand am Abend in einer kleinen Kirche statt. Cecilia (die Braut) hatte fast eine Stunde Verspätung und wir waren alle schon ganz druchgefroren als sie endlich kam. Den Brautstrauss hatte sie im Hotel vergessen, und die Brautjungfern (so heissen doch die kleinen Mädchen, die Rosenblätter werfen sollten?) rannten bloss aufgescheucht durch die Kirche. Der Pfarrer sprach mit Mikrophon, und man verstand trotzdem kaum ein Wort. Dass man zu dritt heiratet , war die Hauptbotschaft, und dass Jesus der Dritte im Bunde sein soll, und dass man jeden Tag beten soll. Das Vater Unser habe nur 51 Worte (52, mit dem "amen") und das dauere nur 45 Sekunden, und die muss man sich jeden Tag Zeit nehmen. Dann hat er viele Sprüche aufgesagt, bei denen die ganze Kirche mitgemurmelt hat. Eigentlich war es eine schöne Feier, mal abgesehen von der Keyboard-Hochzeitsmarsch-und-PachelbelKanon-Musik, die war wirklich schrecklich! Nach der Kirche fuhren wir in eines der teuersten Hotels der Stadt (die grosse Attraktion waren die Wasserhahnen, welche mit Bewegungssensor funktionieren...), um zu feiern, zu essen und zu tanzen. Zuerst kam das Brautpaar über den roten Teppich in den Saal geschritten und tanzte einen „Walzer“. Gary (der Bräutigam, ein Gringo aus England) stellte sich allerdings nicht sonderlich geschickt an... Dann gab es Essen, Trinken und Reden, und schliesslich wurde sehr viel getanzt. Alle tanzten mit (auch die, welche in der Kirche noch am Stock gingen..), und die Primos versuchten mir die bolivianischen Volkstänze beizubringen. Im Nachhinein ist mir schleierhaft, wie ich nach so vielen Stunden ohne Schlaf und gerade mal einem halben Tag in 3'500 Meter Höhe die Energie und die Puste hatte, zu tanzen. Aber es hat Spass gemacht. Nach der Feier hatten wir noch einen kleinen Un- resp. Zwischenfall mit dem Auto. Zum Glück gabs aber nur ein bisschen Blechschaden und eine grosse Aufregung. Zu Hause haben wir noch weitergefeiert bis um 6h morgens, um dann gerade mal 2h zu schlafen, bevor die ganze Pareia sich wieder beim Frühstück versammelte. Später kam das Brautpaar dazu und es begann das grosse Auspacken der Hochzeitsgeschenke (unzählige Electrodomésticos, Bestecksets und viel Geschirr). Danach fuhren wir alle eingepfercht in zwei Autos zu Cecilias Wohnung, um diese komplett zu räumen, da sie und Gary sei Montag in Mexiko leben (Gary hat dort einen neuen Job in einer Kupfermine). Die Wohnung ist in einem ziemlich schönen Quartier am Rande der Stadt, hat einen Whirlpool und einen Anziehschrank (heisst das so? wenn man in den Schrank reingehen kann, um sich anzuziehen?) und ist nur über einen „Lift“ zugänglich; eine kleine Kabine, welche wie das Marzilibähnli nach oben fährt, mit dem Unterschied, dass die Türen nicht wirklich verschliessbar sind und man jederzeit auf beiden Seiten rausfallen könnte. Ausserdem setzt sich das Gefährt in Bewegung, sobald jemand unten oder oben auf den Knopf drückt, ohne Rücksicht auf Ein- oder Aussteigende... Anahi und ich verbrachten praktisch den ganzen Tag damit, Kleider zu sortieren und einzupacken, Schachteln zuzukleben und damit im komischen Lift rauf- und runterzufahren...

Am Montag hatte ich meinen ersten Arbeitstag bei ITEI. Bis jetzt kann ich noch nicht viel interessantes machen. Ich bin viel am Lesen, über Militärputschs und Diktaturen in Bolivien. Am Mittwoch war ich in einer Gerichtsverhandlung. Es ging um zwei "desaparecidos", die beim letzten Militärputsch angeschossen und verschleppt wurden, und von denen bis heute jede Spur fehlt (M. Quiroga Santa Cruz). Das war sehr spannend, aber auch recht anstrengend. Der Gerichtssaal war so klein, dass nicht einmal die 13 Angeklagten mit ihren Verteidigern sitzen konnten... Marcelo (ein Arzt von ITEI) und ich standen ganz hinten im Gewühl, knapp nicht mehr im "Gerichtssaal", während etwa 3h, und versuchten so gut es ging was mitzubekommen. Die Anwälte der ehemaligen Paramilitares waren ziemlich hemmungs- und respektlos gegenüber den Hinterbliebenen, und einer von Ihnen hatte gegen Ende der Verhandlung einen kleineren Ausraster und wurde rausgeschmissen. Anscheinend geniessen García Meza (der Diktator von 1980) und seine Leute hier teilweise immer noch hohes Ansehen, oder haben zumindest nach wie vor genügend Macht, um sich vor der Strafe zu drücken (García Meza "sitzt" zwar offiziell im Gefängnis, ist in Wahrheit aber praktisch nie dort, weil ihn die Wächter schützen und für jegliche Art von Unternehmungen rauslassen...)

Ansonsten passiert nicht viel bei der Arbeit... Am liebsten mag ich die Hin- und Rückfahrten in den Minibuses. Das sind so kleine Hondabusse (oder Nissan oder Dahiatsu), welche ihre Runden fahren und überall Leute ein- und ausladen. Manchmal kommt zwar eine Ewigkeit kein Bus, oder drei volle hintereinander (hat ja nicht so viel Platz in so nem kleinen Bus...), und dann rattert es auch ziemlich heftig. Ausserdem ist es recht unangenehm wenn man noch nicht ganz eingestiegen ist und der Fahrer schon schwungvoll losfährt, so dass es einen durch den ganzen Bus nach hinten schleudert und man sich den Ellenbogen aufschlägt.Ein bisschen billiger sind die „grossen“ Busse, aber da kann man meistens nicht sitzen und muss ziemlich aufpassen, dass einem nichts gestohlen wird. Die Taxis sind auch sehr billig, aber die laden dann meist noch andere Leute ein und fahren zum Teil recht grosse Umwege.
Eigentlich gefällt es mir ziemlich gut hier bis jetzt. Meine Familie ist sehr nett (schade nur, dass die Primos wieder nach Cochabamba zurück gefahren sind), das Essen ist nicht schlecht (aber die Küche... ich getrau mich gar nicht, dort was anzufassen, ich würde bestimmt hysterisch werden..). Und mein Körper hat sich noch nicht so aklimatisiert. Wenn ich eine Treppe hochsteige oder ein paar Schritte gehe bin ich gleich ausser Atem, und mein Magen hat sich auch noch nicht so angewöhnt... Und das Schlimmste ist das Aufstehen am Morgen. Es ist wirklich kalt hier im Haus, und in der Dusche hats zwar heisses Wasser, aber nur ganz wenig...