Mittwoch, 10. Oktober 2007

Erste Eindrücke (Ausschnitt Mail)

Am Samstag Morgen so ca. um 6.00 (Ortszeit) landete ich nach 28h Reise auf dem Flughafen El Alto – La Paz (auf 4’100 müM). Dort warteten meine zwei Gastbrüder (Ramiro und Christian) und mein Gastprimo Gerardo auf mich, um mich und mein bescheidenes Gepäck nach Hause zu fahren. Ungefähr 500 Höhenmeter tiefer trafen wir auf „el Evo“ (Morales), der gerade zur Arbeit fuhr. Eskortiert, versteht sich. Und hinter verdunkelten Autoscheiben... Trotzdem ein netter Empfang in Bolivien.. ;) Beim Frühstück lernte ich gleich die ganze Familie kennen. Alle zwei Minuten kamen neue Primos, Primas, Tios und Tias aus allen Ecken; für die Hochzeit war die ganze Verwandtschaft aus Cochabamba angereist. Die Trauung fand am Abend in einer kleinen Kirche statt. Cecilia (die Braut) hatte fast eine Stunde Verspätung und wir waren alle schon ganz druchgefroren als sie endlich kam. Den Brautstrauss hatte sie im Hotel vergessen, und die Brautjungfern (so heissen doch die kleinen Mädchen, die Rosenblätter werfen sollten?) rannten bloss aufgescheucht durch die Kirche. Der Pfarrer sprach mit Mikrophon, und man verstand trotzdem kaum ein Wort. Dass man zu dritt heiratet , war die Hauptbotschaft, und dass Jesus der Dritte im Bunde sein soll, und dass man jeden Tag beten soll. Das Vater Unser habe nur 51 Worte (52, mit dem "amen") und das dauere nur 45 Sekunden, und die muss man sich jeden Tag Zeit nehmen. Dann hat er viele Sprüche aufgesagt, bei denen die ganze Kirche mitgemurmelt hat. Eigentlich war es eine schöne Feier, mal abgesehen von der Keyboard-Hochzeitsmarsch-und-PachelbelKanon-Musik, die war wirklich schrecklich! Nach der Kirche fuhren wir in eines der teuersten Hotels der Stadt (die grosse Attraktion waren die Wasserhahnen, welche mit Bewegungssensor funktionieren...), um zu feiern, zu essen und zu tanzen. Zuerst kam das Brautpaar über den roten Teppich in den Saal geschritten und tanzte einen „Walzer“. Gary (der Bräutigam, ein Gringo aus England) stellte sich allerdings nicht sonderlich geschickt an... Dann gab es Essen, Trinken und Reden, und schliesslich wurde sehr viel getanzt. Alle tanzten mit (auch die, welche in der Kirche noch am Stock gingen..), und die Primos versuchten mir die bolivianischen Volkstänze beizubringen. Im Nachhinein ist mir schleierhaft, wie ich nach so vielen Stunden ohne Schlaf und gerade mal einem halben Tag in 3'500 Meter Höhe die Energie und die Puste hatte, zu tanzen. Aber es hat Spass gemacht. Nach der Feier hatten wir noch einen kleinen Un- resp. Zwischenfall mit dem Auto. Zum Glück gabs aber nur ein bisschen Blechschaden und eine grosse Aufregung. Zu Hause haben wir noch weitergefeiert bis um 6h morgens, um dann gerade mal 2h zu schlafen, bevor die ganze Pareia sich wieder beim Frühstück versammelte. Später kam das Brautpaar dazu und es begann das grosse Auspacken der Hochzeitsgeschenke (unzählige Electrodomésticos, Bestecksets und viel Geschirr). Danach fuhren wir alle eingepfercht in zwei Autos zu Cecilias Wohnung, um diese komplett zu räumen, da sie und Gary sei Montag in Mexiko leben (Gary hat dort einen neuen Job in einer Kupfermine). Die Wohnung ist in einem ziemlich schönen Quartier am Rande der Stadt, hat einen Whirlpool und einen Anziehschrank (heisst das so? wenn man in den Schrank reingehen kann, um sich anzuziehen?) und ist nur über einen „Lift“ zugänglich; eine kleine Kabine, welche wie das Marzilibähnli nach oben fährt, mit dem Unterschied, dass die Türen nicht wirklich verschliessbar sind und man jederzeit auf beiden Seiten rausfallen könnte. Ausserdem setzt sich das Gefährt in Bewegung, sobald jemand unten oder oben auf den Knopf drückt, ohne Rücksicht auf Ein- oder Aussteigende... Anahi und ich verbrachten praktisch den ganzen Tag damit, Kleider zu sortieren und einzupacken, Schachteln zuzukleben und damit im komischen Lift rauf- und runterzufahren...

Am Montag hatte ich meinen ersten Arbeitstag bei ITEI. Bis jetzt kann ich noch nicht viel interessantes machen. Ich bin viel am Lesen, über Militärputschs und Diktaturen in Bolivien. Am Mittwoch war ich in einer Gerichtsverhandlung. Es ging um zwei "desaparecidos", die beim letzten Militärputsch angeschossen und verschleppt wurden, und von denen bis heute jede Spur fehlt (M. Quiroga Santa Cruz). Das war sehr spannend, aber auch recht anstrengend. Der Gerichtssaal war so klein, dass nicht einmal die 13 Angeklagten mit ihren Verteidigern sitzen konnten... Marcelo (ein Arzt von ITEI) und ich standen ganz hinten im Gewühl, knapp nicht mehr im "Gerichtssaal", während etwa 3h, und versuchten so gut es ging was mitzubekommen. Die Anwälte der ehemaligen Paramilitares waren ziemlich hemmungs- und respektlos gegenüber den Hinterbliebenen, und einer von Ihnen hatte gegen Ende der Verhandlung einen kleineren Ausraster und wurde rausgeschmissen. Anscheinend geniessen García Meza (der Diktator von 1980) und seine Leute hier teilweise immer noch hohes Ansehen, oder haben zumindest nach wie vor genügend Macht, um sich vor der Strafe zu drücken (García Meza "sitzt" zwar offiziell im Gefängnis, ist in Wahrheit aber praktisch nie dort, weil ihn die Wächter schützen und für jegliche Art von Unternehmungen rauslassen...)

Ansonsten passiert nicht viel bei der Arbeit... Am liebsten mag ich die Hin- und Rückfahrten in den Minibuses. Das sind so kleine Hondabusse (oder Nissan oder Dahiatsu), welche ihre Runden fahren und überall Leute ein- und ausladen. Manchmal kommt zwar eine Ewigkeit kein Bus, oder drei volle hintereinander (hat ja nicht so viel Platz in so nem kleinen Bus...), und dann rattert es auch ziemlich heftig. Ausserdem ist es recht unangenehm wenn man noch nicht ganz eingestiegen ist und der Fahrer schon schwungvoll losfährt, so dass es einen durch den ganzen Bus nach hinten schleudert und man sich den Ellenbogen aufschlägt.Ein bisschen billiger sind die „grossen“ Busse, aber da kann man meistens nicht sitzen und muss ziemlich aufpassen, dass einem nichts gestohlen wird. Die Taxis sind auch sehr billig, aber die laden dann meist noch andere Leute ein und fahren zum Teil recht grosse Umwege.
Eigentlich gefällt es mir ziemlich gut hier bis jetzt. Meine Familie ist sehr nett (schade nur, dass die Primos wieder nach Cochabamba zurück gefahren sind), das Essen ist nicht schlecht (aber die Küche... ich getrau mich gar nicht, dort was anzufassen, ich würde bestimmt hysterisch werden..). Und mein Körper hat sich noch nicht so aklimatisiert. Wenn ich eine Treppe hochsteige oder ein paar Schritte gehe bin ich gleich ausser Atem, und mein Magen hat sich auch noch nicht so angewöhnt... Und das Schlimmste ist das Aufstehen am Morgen. Es ist wirklich kalt hier im Haus, und in der Dusche hats zwar heisses Wasser, aber nur ganz wenig...

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